„Es ist, als wollten sie uns vom Angesicht der Erde tilgen“.
Magnus MacFarlane-Barrow, Gründer von Mary‘s Meals, berichtet von den unvorstellbaren Gräueln in Äthiopien, die ihm unser Partner in Tigray erzählte.
Seit dem Beginn des Konflikts in Tigray im November 2020 habe ich mehrmals ein emotionales Telefonat mit unseren Freunden dort beendet und mir gedacht, dass es unmöglich noch schlimmer werden kann. Und es kam noch schlimmer.
Unser Projektpartner informierte mich über die neuesten Schrecken durch die totale humanitäre Blockade von Tigray, die von der äthiopischen Regierung vor den Augen der Welt verhängt wurde: Der Treibstoff ist so gut wie aus, die Lebensmittelvorräte dürften höchstens für zwei Wochen reichen, es ist nicht möglich, Bargeld zu beheben, die Krankenhäuser schließen, weil ihnen die nötigsten Dinge fehlen, und die Luftangriffe der Regierung werden immer häufiger. 1,8 Millionen befinden sich in der Region auf der Flucht.
„Es ist nur die Gnade Gottes, die uns am Leben hält. Tigray ist völlig isoliert, und man hat oft das Gefühl, dass sich niemand um uns kümmert – nach fünfzehn Monaten fragen wir uns immer wieder, wann es zu Ende sein wird. Wie können wir überleben? Es ist, als wollten sie uns vom Angesicht der Erde tilgen“, schildert unser Projektpartner die Lage in Tigray. Helfer unterstützen unermüdlich die 30.000 Vertriebenen – mit Mitteln von Mary‘s Meals – und berichten über Betroffene:
(Die Namen wurden zum Schutz der Personen geändert.)
„Lidyas Augen sind jetzt immer voller Tränen“, sagen besorgte Dorfbewohner über ihre 15-jährige Nachbarin. Vor dem Krieg war das nicht so. Lidya ist eines von fünf Kindern, und ihre Eltern waren Bauern, die sich über die Aufzucht einer neuen Milchkuhrasse freuten, die sie mit einem Mikrokredit gekauft hatten.
Nach Kriegsbeginn wurde die Gegend um ihr Dorf zu einem Schlachtfeld, auf dem die für die Unabhängigkeit kämpfende „Tigrayan Defence Force“ und die „Ethiopian National Defence Force“ der Zentralregierung – unterstützt von ihren eritreischen und Amhara-Verbündeten – aufeinander trafen.
Als die Kämpfe hier Anfang 2021 zum fünften Mal ausbrachen, tat Lidyas Vater, was er schon mehrmals getan hatte, und schickte seine Frau und seine Kinder zusammen mit ihren Nachbarn in nahe gelegene Höhlen in den Bergen, während er zu Hause blieb, um ihr Hab und Gut vor Plünderungen zu schützen. Von ihrem Versteck aus konnten sie an diesem Abend Schüsse aus der Richtung ihres Dorfes hören, nach Sonnenuntergang wurde es still. So beschloss Lidyas Mutter, in der Dunkelheit zu ihrem Haus zurückzukehren, um etwas zu essen für ihre Kinder zu holen.
Die fünf Kinder warteten die ganze Nacht in der Höhle auf ihre Rückkehr, Hunger und Angst hielten sie wach. Als sich am nächsten Nachmittag, als keine Schüsse mehr zu hören waren, alle auf den Weg zurück in ihre Häuser machten, wurde das ganze Dorf von Schreien und Weinen erfüllt. Bald wurde klar, dass alle, die in ihren Häusern geblieben waren, ermordet worden waren – darunter auch Lidyas Eltern.
In den folgenden Monaten lebten Lidya und ihre vier jüngeren Geschwister allein im Haus. Die Monate der Regenzeit sind verstrichen, ohne dass auf ihren Feldern gesät wurde und ohne dass sie sich auf eine Ernte freuen können. Diese Kinder gehören nun zu den Millionen, die in absehbarer Zukunft völlig auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind.